Arbeitsgemeinschaft Judentum und Christentum in der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz

Ein gesegnetes und süßes Jahr - Umkehr – Gebet – Liebeswerke

„Mögest Du eingeschrieben sein in das Buch des Lebens“ — so sagt Israel in den Tagen um Rosch Ha-Schana (Neujahrsfest, 16. – 18.09.2012). Und auch die Tage, die zum Jom Kippur (Versöhnungstag, 25./26.09.2012) hinführen, werden von diesem grüßenden Wunsch begleitet.

Rosch Ha-Schana – etwas Neues beginnt. Mit ehrlicher Selbstwahrnehmung beginnen Juden das neue Jahr. Dazu kommt die Vorstellung, GOTT – Er sei gelobt – sitzt vor dem aufgeschlagenen Buch des Lebens. Darin verzeichnet ist das Tun und Lassen der Menschen, wie es sich kundtut in ihren Gedanken, ihren Worten, ihren Taten oder auch Nicht-Taten. Die Waagschalen des himmlischen Richters – schlagen sie aus zum Guten oder zum Schlechten? Wie war das Jahr, mein Jahr? Wie habe ich es genutzt – zum Guten? Zum Schlechten?

Die Betenden sehen zurück, sehen sich und ihr Jahr und gehen mit ihrem Gebet zu GOTT.

Unser Vater, unser König, sei uns gnädig und erhöre uns, denn wir haben keine Taten vorzuweisen. Israel betet und gibt sich in GOTTES Hand. In dieser Hand ist Israel geborgen – im Vertrauen auf GOTT und Seine Barmherzigkeit gehen Juden in das neue Jahr, gehen durch die Zehn Tage der Umkehr, die dem Versöhnungstag entgegenführen und erleben und erfahren diesen Tag der Versöhnung.

Neujahr: Erinnern an das zurückliegende Jahr. Erinnern an die Anfänge, von denen die Bibel erzählt. Erinnern an die Schöpfung. Erinnern an alles neue Beginnen, das GOTT möglich macht.

Ewiger, Ewiger, GOTT, barmherzig und gnädig, nachsehend, von großer Gnade und Treue, bewahrt Gnade bis in die tausendste Generation, vergibt Missetat, Übertretung und Sünde… Israel betet und gibt sich in GOTTES Hand und geht befreit und erlöst in das Neue Jahr.

Israel betet und durchläuft die Zehn Tage der Umkehr.

Wer wüsste denn nicht, wie viel zwischen ihm/ihr und GOTT steht?! Wer wüsste denn nicht, wie viel zwischen ihm/ihr und den Mitmenschen steht?!

Sünden zwischen Mensch und GOTT sühnt GOTT; Sünden zwischen den Menschen aber können nur Menschen wieder bereinigen. Kehrt um – der Ruf der Propheten hat Bestand und Gültigkeit. Kehrt um, geht einander entgegen – schafft zur Seite, was zwischen euch steht. Bittet um Verzeihung und Ent-Schuld-igung. Gewährt auch selbst solchen an Euch herangetragenen Bitten die Ent-Schuld-igung.

Israel betet und durchläuft die Zehn Tage der Umkehr – der Jom Kippur wartet.

Ein strikter Fasttag. Fasten ist mehr als Nicht-Essen und Nicht-Trinken. Der Verzicht auf das alltägliche Tun der Mahlzeiten macht frei für den Blick auf das Wesentliche des Lebens und Erlebens: Wo stehe ich im Blick auf GOTT, im Blick auf meine Mitmenschen? Wie ist mein Leben und mein Erleben des Lebens? Fern zu GOTT und Mitmensch? Bereit zur Umkehr? Bereit das Neue zu erleben, bereit neu anzufangen?

Die Fastenden sehen auf sich, ihr Leben, ihre Mitmenschen, sehen auf GOTT.

Die Gedanken und Gebete des Versöhnungstages münden in die hoffnungsgetragene Zuversicht: Umkehr — Gebet — Liebeswerke wenden das Böse…

Das Buch Jona gehört zu den biblischen Lesungen des Jom Kippur. Jona, der Prophet, der flieht, weil er GOTTES Auftrag nicht ertragen kann. Jona, der flieht, weil er GOTTES Barmherzigkeit und Gnade nicht ertragen will. Jona, der flieht und letztendlich von GOTTES Barmherzigkeit und Gnade eingeholt wird. Jona, der zum Verkünder von GOTTES gnädiger Vergebung wird. Eine Geschichte, die durch das neue Jahr begleiten wird dem nächsten Neujahr und Versöhnungstag entgegen. Eine Geschichte der Flucht und der Heimkehr.

Die Tore GOTTES sind geöffnet – und warten auf die Umkehrenden.

Das Volk Israel erlebt seine Hohen Feiertage.

Wir Christen können uns von den Gedanken und den Gebeten, die zu diesen Tagen gehören, anleiten lassen zum eigenen Fragen und Nachdenken.

Umkehr — Versöhnung — Neubeginn…

Gerne werden diese Worte verwendet in den Begegnungen von Christen und Juden.

Gerne werden diese Worte bei uns in Deutschland verwendet um kundzutun, wir haben gelernt aus unserer Geschichte. Das „Nie wieder“ zu allem Antisemitismus ist uns vertraut und bestimmt unser Denken und Handeln.

Wenn es doch so sein könnte!

Sehen wir selbstkritisch auf unsere Situation, so sehen wir, wie viel noch zu tun ist.

Die Beschneidungsdebatte beschäftigt die Medien, bewegt Juden und Muslime, bewegt auch Christen. Die Beschneidung erregt immer wieder Nichtjuden, die daran Anstoß nehmen. In Europa und von Europäern beherrschten Landen eine Jahrtausende alte Tradition.

Die antiken Griechen nahmen zu ihrer Zeit Anstoß und haben unter Todesstrafe die Ausübung jüdischer Rituale untersagt. In hellenistischer Kultur ist dafür kein Platz – so ihre Ansicht.

Die antiken Römer nahmen zu ihrer Zeit Anstoß, demonstrierten ihre Macht und stellten die Ausübung jüdischer Rituale unter Todesstrafe.

Das christliche Spanien hat alle, Juden und Muslime gleichermaßen, zur Taufe gezwungen.

Deutschland im 21.Jahrhundert nimmt nun juristisch Anstoß und will Juden und Muslime nötigen von der Beschneidung Abstand zu nehmen.

Wer will, findet Gründe, um Israel zu bedrängen: Kulturell, machtpolitisch, religiös, juristisch. Wer will, findet.

Die Beschneidung ist Ausdruck der Treue zu GOTT, Seinem Wort, der jüdischen Tradition, Kultur und Geschichte. Von dieser Treue wollen und werden sich Juden nicht abbringen lassen. Warum sollten sie auch!? Würden wir Christen die Taufe abschaffen, nur weil andere meinen, sie wäre nicht zeitgemäß? Warum sollte Israel seine Glaubensäußerungen einschränken?

Warum nur wollen wir, auch wir Christen, bewusst oder unbewusst, immer wieder etwas finden, das wir Israel zur Last legen können?

Warum nur können wir, auch wir Christen, bewusst oder unbewusst, Israel nicht endlich in Frieden mit uns leben lassen?

Warum nur vergessen wir so schnell?

Umkehr — Versöhnung — Neubeginn…

Da ist und bleibt viel zu lernen, viel zu tun. Eine wichtige, eine dankbare Aufgabe, die auf uns, auch auf uns Christen, wartet, immer wieder neu.

von: Johanna Melchior

veröffentlicht am

Informationen zu den Hohen Feiertagen unter: hagalil.com